Auswandern - am Finanzamt vorbei: Wegzugsbesteuerung

Tom

Florida-Beginner
Auswandern - am Finanzamt vorbei
Der Europäische Gerichtshof erteilt der Wegzugsbesteuerung eine klare Absage. Das Nachsehen haben Deutschland, Frankreich, Holland und Dänemark
Vielleicht war es gegen Ende dieser unwirtlichen Wintersaison auch in Straßburg leichter, zu einer schlichten Erkenntnis zu kommen: Wenn Menschen - und zu dieser Spezies gehören auch Personen, die an Unternehmen beteiligt sind - auswandern, tun sie dies nicht immer, um ihr Finanzamt auszutricksen. Mit dieser Feststellung hat der Europäische Gerichtshof das Ende für die bisherigen Regelungen zur so genannten "Wegzugsbesteuerung" in Europa eingeleitet. Nach solchen Vorschriften führt ein Wohnsitzwechsel in andere Länder bei Personen, die wesentlich an GmbHs oder AGs beteiligt sind, zu einer Sondersteuer. Wandert ein Deutscher, der Anteile mit einer Quote von einem Prozent oder mehr an deutschen GmbHs oder AGs hat, aus, wird auf den Wert seiner Anteile abzüglich seiner ursprünglich dafür gezahlten Kosten Steuer fällig, wenn er hier zuvor zehn Jahre oder länger als Ansässiger einkommensteuerpflichtig war. Die Hälfte dieses "Gewinns" unterliegt der deutschen Einkommensteuer (Halbeinkünfteverfahren), und zwar ohne dass die Beteiligungen verkauft werden. Das soll verhindern, dass Deutsche auswandern und später ihre Anteile mit Gewinn verkaufen, ohne dass der deutsche Fiskus daran partizipiert.

Seit Einführung dieses Gesetzes, 1972, trifft es jeden, egal ob es beim Auswandern um steuerliche Motive geht oder nicht. Es spielt auch keine Rolle, ob der Wegzügler im Ausland anschließend seine deutschen Beteiligungen verkauft. Ursprünglich galt das Gesetz nur für Deutsche, die mit mehr als 25 Prozent an hiesigen Gesellschaften beteiligt waren, 1999 fiel die Quote dann auf zehn Prozent und im Jahr 2001 auf ein Prozent; der übliche Gang der Dinge bei der latenten Schlupfloch-Paranoia der hiesigen Steuergesetzgeber.

Besonders Personen, die nicht aus steuerlichen Gründen abgewandert sind und hier brav ihre Wegzugssteuer bezahlt haben, sehen sich später mit einem neuen Steuerproblem konfrontiert, wenn sie die deutschen Beteiligungen tatsächlich verkaufen wollen. Dabei entstehende Gewinne sind meist im neuen Heimatland steuerpflichtig und zwar auf Basis des Unterschieds zwischen ursprünglichen Kosten und Veräußerungspreis. Die Differenz zwischen Anfangsinvestition und Wert der Anteile wurde aber beim Umzug ins Ausland bereits versteuert - bis zum Jahr 2000 sogar in voller Höhe, das Halbeinkünfteverfahren gilt ja erst ab 2001. Nun soll derselbe Gewinn im Ausland nochmals besteuert werden. Manchmal gibt es in solchen Fällen Sonderregelungen, die Abhilfe schaffen, manchmal aber auch nicht - alles in allem eine von vielen merkwürdigen Regelungen im deutschen Steuerrecht mit bisweilen absurden Konsequenzen und harten Kollateralschäden.

Mit einer Entscheidung vom 11. März dieses Jahres hat der Europäische Gerichtshof das Aus für die Wegzugsbesteuerung verkündet. :Applause: Er hat einmal mehr deutlich gemacht, dass Steuern nicht das Maß aller Dinge sind und Gesetze zur Bekämpfung vermeintlicher oder echter Steuerflucht auch nicht. Ein wichtiger Grundsatz des Europarechts ist die Niederlassungsfreiheit für alle Europäer. Das beinhaltet auch das Recht auszuwandern. Gesetze, welcher Art auch immer, dürfen dies nicht einschränken, es sei denn, dies ist aus überragenden Gründen erforderlich. Regelungen wie die Wegzugsbesteuerung, die alle Personen mit Unternehmensbeteiligungen beim Auswandern hart treffen, nur weil vielleicht einige auswandern, um Steuern auf Veräußerungsgewinne zu sparen, sind danach unzulässig.

Entschieden wurde dies zur französischen Wegzugsbesteuerung. In dem Verfahren waren Deutschland, Dänemark und die Niederlande - alles Länder mit ähnlichen Regelungen wie in Frankreich - den Franzosen zur Hilfe geeilt, aber alle Argumente dieser Allianz der Unwilligen wurden zurückgewiesen. Da die deutsche Regelung noch strenger ist als das französische Gegenstück, dürfte auch unsere Wegzugsbesteuerung vom Tisch sein - Europarecht geht vor Bundesrecht.

Wer hierzu noch nicht rechtskräftige Steuerbescheide hat, sollte flugs Einspruch einlegen. Wer sich mit Auswanderungsplänen trägt, bei denen die Hürde der Wegzugsbesteuerung noch zu nehmen ist, muss neu nachdenken und sollte die Antennen ausfahren. Es ist noch nicht klar, wie es bei uns weitergehen wird. Der deutsche Fiskus könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass unsere Regelungen ja nicht Gegenstand des Urteils waren und versuchen, irgendwelche Unterschiede zu den französischen Gesetzen hochzujubeln, um die deutsche Wegzugsbesteuerung weiter anzuwenden - Motto: Soll doch ein deutscher Steuerzahler das erst mal durch die Gerichtsinstanzen bringen. Möglicherweise versucht unsere Regierung es auch schnell mit einer Neuregelung; theoretisch können hier noch Gesetze erlassen werden, die ab Anfang dieses Jahres gelten. Wie immer, wenn Europäischer Gerichtshof oder Bundesverfassungsgericht ein Steuergesetz gekippt haben, heißt es warten, bis sich der Rauch verzogen hat, bevor agiert wird. Vielleicht schießen die Gerichte inzwischen noch ein paar andere Steuergesetze ab; da gibt es noch viele lohnende Ziele.

Artikel erschienen am 21. März 2004, Welt am Sonntag
 
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