Ich will hier mal eine Lanze für die Ärzte brechen. Wenn es eine Ärzteschwemme gibt, wieso müssen KH-Ärzte unbezahlte Überstunden schieben? Nee, so einfach ist das leider nicht. Wir sind hier von einem Extrem ins andere gekommen und das ist einfach ungesund und unter diesen Umständen, macht die Ausübung des Berufes bestimmt wenig Spaß und in dem Fall ist es m. E. auch hoch gefährlich. Letztlich werden immer noch Patienten behandelt und ich möchte eigentlich nicht von einem Arzt operiert werden, der schon einen 16 Stunden Tag hinter sich hat.
Ich kann es gut verstehen, wenn z. B. Ärtze in Ausland gehen, um auch in einem gesunden Umfeld ihren Job ausführen zu können.
Hier muss ich widersprechen, liebe Bimi: Gerade
weil es zuviele Ärzte gibt müssen die sich auf die unbezahlten Überstunden einlassen - machen sie es nicht, so findet sich ganz leicht ein anderer, der den Job macht (oder wirtschaftlich machen muss). Spreche mal mit angehenden Ärzten, wie schwer es ist eine vernünftige AIP (Arzt im Praktikum)-Stelle zu bekommen.
Wenn es das Chefarzt-System nicht geben würde und diese Pfründe auf alle KH-Ärzte verteilt würde, dann gäbe es das Problem nicht. Diese Strukturen (auch die der Kassenärztlichen Vereinigung) sorgen ja zu einem nicht unbeträchtlichen Teil für solche Mißstände. Die sorgen leider dafür (ebenso wie im restlichen Wirtschaftsleben Politik und Interessenverbände) dass einige Wenige richtig absahnen und viele dafür mit deutlich weniger auskommen müssen. In Skandinavien hat man zu einem großen Teil diese Strukturen aufgebrochen (und alles staatlich gemacht) und fährt gut damit - hier (und auch in vielen anderen Ländern) geht es leider schon seit vielen Jahren genau anders herum. Speziell seit der Öffnung des Ostens und der damit verbundenen riesigen Ressource für Billiglohn-Arbeitskräfte in geographischer Nähe und der inzwischen immer kritikloseren Vergötterung der goldenen Kälber Konsum und Egoismus herrscht doch quasi reinster Sozial-Darwinismus: Nur der wirtschaftlich Starke überlebt - auf Kosten der wirtschaftlich Schwachen. Denn es ist ja nicht auf einmal so viel mehr da, es wird nur immer mehr umgeschichtet. Das Bewusstsein, dass das Richtig und erstrebenswert ist wurde hierzulande vor allem durch die Politik der Ära Kohl erschaffen und bestärkt und seither ist leider noch kein Umdenken erfolgt.
Ich sage mal ganz provokativ: Der Masse geht es eben immer noch nicht schlecht genug um sich richtig zu wehren - die Angst um die Bewahrung des Besitzstandes ist noch größer. Aber die Menge derer, die gar nichts mehr zu verlieren haben wird größer und irgendwann wird es knallen - denn nicht jeder hat die Möglichkeit auszuwandern.
Die neuschwedische Familie kann ich gut verstehen. Und ich finde , die machen das toll und wollen vor allem auch. Ich gönne ihnen ihr neues Leben.
Das gönne ich ihnen auch von Herzen. Aber dort trifft ja genau der beschriebene Fall ein: Ein dringender Bedarf (an Ärzten) der nur schwer zu erfüllen ist (aufgrund der geographischen Lage) - da ist es doch klar, dass den möglichen Interessenten alles geboten wird um den Job attraktiv zu machen.
Um es noch einmal klar zu sagen: Ich bin kein Freund der hiesigen Verhältnisse und kann jeden verstehen der auswandert. Aber wir sollten alle nicht so tun, als wären wir nur unschuldige Opfer - wir alle sind auch Täter und haben es zugelassen oder auch (unbewusst) selber aktiv betrieben, dass eine solche Haltung oder ein solches Klima hier entstanden ist. Ich schließe mich da selber auch nicht aus......
Wer aber die "Geiz ist geil"-Mentalität richtig findet, Top-Ware zu Mini-Preisen haben will, Auftragvergabe an Schwararbeiter als "Gegenwehr" gegen die hohen Preise akzeptabel und richtig findet, der muss auch damit rechnen, dass irgendwann für die eigene Leistung auch nicht mehr viel bezahlt werden soll - denn mal ehrlich: Man kann ja nicht nur auf der einen Seite die (finanziellen) Vorteile einer solchen haltung in Anspruch nehmen und sich dann beschweren, wenn jemand Anderes das Gleiche bei einem selber machen möchte. Das wäre doch entweder blauäugig oder schizophren.
Außerdem wählen wir seit Jahren die Politiker, die für diese Systeme stehen. Wir legen unser Geld in Fonds an, die die Unternehmen stützen, die so unsoziale Firmenpolitik betreiben. Wir kaufen Aktien und freuen uns wenn die steigen - was sie meist durch Aktionen wie Massenentlassungen, Firmenaufkäufe usw. tun.
Letztlich sind wir selber auf diesem Wege mitverantwortlich für die Situation - auch wenn wir sie nicht gewollt und größtenteils nicht vorausgesehen haben. Es gab ja durchaus immer Leute die davor gewarnt haben - aber auf die wollten wir ja nicht hören, solange es uns noch gut ging....
Jetzt wird sicher der Eine oder Andere sagen: Ja, aber ich als Einzelner kann das doch nicht ändern! Das stimmt zwar, aber das heißt doch nicht, das wir es gar nicht erst versuchen sollten und gleich resignieren. Denn wenn viele kleine Einzelne so denken, dann wird die Macht das zu tun schon größer - so funktioniert Demokratie nun einmal. Und wer Kinder hat, der kann schon in der Erziehung versuchen, da etwas an den grundlegenden Werten zu tun - solche Veränderungen brauchen eben leicht mal eine Generation und sind nicht von einem auf den anderen Tag zu ändern - sie sind ja auch nicht von gestern auf heute so geworden wie sie jetzt sind.
Jeder von uns bewundert Menschen, die sowas wie die Tafel für Arme organisieren, die unentgeltlich Bedürftigen in irgendeiner Form helfen, die sich sozial engagieren usw. - aber hand auf's Herz: Wer tut selber etwas in der Richtung? (Das will ich jetzt nicht tatsächlich wissen sondern sollte sich jeder selber fragen) Denn wir wollen doch mal ehrlich sein: Den Meisten, die sich hier aufhalten geht es ja noch relativ gut - was wir für einen Urlaub in den Staaten ausgeben, damit müssen teilweise Familien monatelang ihren Lebensunterhalt bestreiten.....
So, das ist jetzt wieder ein ordentlicher Roman geworden :035: - um aber noch einmal den Bogen zum Thema zu spannen (oder es zumindest zu versuchen): Ich kann jeden verstehen, der auswandern will - aber wenn er es ausschließlich der wirtschaftlichen Situation wegen tut, dann ist das auch ein kleines bißchen Flucht davor, die Dinge hier anzupacken und zu ändern. Was nicht als Wertung sondern als Feststellung zu werten ist - ich sehe das wertfrei. Nur letztlich ist es ausschließlich immer meine Entscheidung - dafür sollte ich nie jemand anders verantwortlich machen (wollen).
In diesem Sinne....
Gruß
Jochen
P.S.: Wer Rechtschreibfehler findet darf sie behalten - ich bin momentan zu faul das Ganze nochmal durchzulesen....