Reisebericht Urlaub im Wilden Westen

Ali G.

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Der Ruf der Prärie

Von Dirk Engelhardt


Die Gegend ist staubig, am Horizont lässt sich die Zivilisation nur erahnen. Hier im US-Bundesstaat Arizona scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, doch längst haben Freizeitcowboys die Prärie für sich erobert. Auf dem Rücken der Pferde erleben sie den Wilden Westen von der ursprünglichen Art.

Am Fuße der Dragoon Mountains, der Drachenberge, liegt die Grapevine Canyon Ranch an den Hang geschmiegt. Von hier aus bietet sich ein weiter Blick über ein dürres Tal, in dessen Mitte drei Knubbel, die "Three Sisters", hervorlugen. Es ist eine Kulisse, die wie geschaffen ist für einen Wildwest-Film. Kein Wunder: Vor etwa einem Jahrhundert durchkämmte Revolverheld Wyatt Earp auf seinem Pferd die Gegend. Heute haben die europäischen Freizeitcowboys den Flecken im "Cactus Country" in ihr Herz geschlossen.

Sogar einige Prominenzen fanden den Weg von Tucson über die US-Route 191 auf die einsame Ranch von Gründerin Eve Searle. Sie erinnert sich an eine einprägsame Begegnung: "Da stand dieser Mann aus Deutschland von dieser Band, die bei euch wohl die Doctors heißen, in der Tür. Und ich dachte mir: Boy, das werden zwei harte Wochen werden. Schwarze Lederstiefel, schwarze Lederhose, breiter Nierengurt mit Metallspiekern, Tank-Top-T-Shirt, Zungen- und Nasenpiercing, Tattoos an den Armen und eine knallrot leuchtende Punk-Frisur. Doch ich täuschte mich: Der Junge war einer der liebsten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Er sagte später zu mir: Das ist meine Arbeitsuniform, die muss ich eben tragen." Übrigens war Bela B., so heißt der Sänger der Band Die Ärzte, nicht nur ein guter Reiter. Er bereicherte auch mit seiner Musik die Abende am Lagerfeuer.

Eve Searle gibt seit Jahrzehnten ihr Alter mit 40 an. Wenn man sie auf ihrem Pferd "Mr. T" im Sattel sitzen sieht, glaubt man kaum, dass sie sich irgendwann einmal anders fortbewegt hat. Doch in Wirklichkeit hat es die gebürtige Tschechin nach Stationen in Indien, Pakistan, Mexiko und einer Ausbildung zur Fluglehrerin erst vor rund 20 Jahren in die Wüstengegend verschlagen.

Die dunkelbraun getünchten Blockhütten für die Besucher der Guest Ranch - mit Klimaanlage, aber ohne TV oder Telefon - baute sie mit ihrem Lebenspartner Gerry in Eigenarbeit auf. "Es gab so manche Saison, da war eher Deutsch als Englisch die Umgangssprache auf der Ranch", erinnert sie sich vor dem Kaminfeuer, das heute viel zu schnell herunterbrennt. "Wer hat denn dieses Cottonwood geholt?", fragt sie und erinnert an bessere Zeiten. Damals zum Beispiel, als Philipp Morris seine deutsche Belegschaft hier die sportlich-kreative "betriebliche Weiterbildung" absolvieren ließ. In der Pressemappe der Ranch findet sich eine bemerkenswerte Anhäufung von Reportagen ostdeutscher Zeitungen über die "Wild-West-Ranch" aus den frühen neunziger Jahren. Offensichtlich suchten und fanden die "East-Germans" hier den so lange widersagten Geruch von Freiheit und Abenteuer.

Jeanskunde für Anfänger

Am ersten Ranch-Tag ist für die Neuankömmlinge ein dreistündiger Geländeritt angesagt, um Mensch und Pferd auf Tuchfühlung zu bringen. Ein echter Reitertraum: Stundenlang trappelt die Gruppe dem Horizont entgegen, an dem kein Hauch von Zivilisation zu erahnen ist. Erst am Tag danach wird bei einem Probetraining auf der Koppel nach Anfängern und Fortgeschrittenen sortiert. Anfänger verraten sich schnell, weil sie die Angestellten schon mal mit "Cowboy" titulieren. "Mit Kühen haben wir nichts zu tun – wir sind Wrangler!" fährt dann ein derart Angesprochener die Ahnungslosen an. "Ja, genau wie die Jeans!" Und es folgt mit hoher Wahrscheinlichkeit Lektion Nummer zwei für angehende Western-Reiter, die erklärt, warum ein echter Wrangler nie Levis trägt. Nur Wranglers haben nämlich die Nähte an den Beinen außen – so dass die Schenkel sich beim Galopp nicht aufschürfen.

Ein besonderer Genuss ist das Reiten im September. Dann blühen nämlich die Wildblumen der Prärie. "Im letzten Jahr hatten wir besonderes Glück – Myriaden gelber Gänseblümchen, gesprenkelt von lila Lavendel, wildem Wein und kleinen Wüstenblumen machten die Ausritte zu einem atemberaubenden Riecherlebnis", schwärmt Eve.

Die Geschichte des Grabsteins

Etwas nördlich von der Ranch liegt das Städtchen Tombstone, was wörtlich übersetzt Grabstein bedeutet. Der Ort kokettiert noch heute mit dem Slogan "The town too tough to die" - Die Stadt, die zu hart zum Krepieren ist. Um den Städtenamen rankt sich folgende Geschichte: Im Jahr 1877 kam ein gewisser Edward Schieffelin, mit 30 Dollar Vorschuss ausgestattet, in das Apachenland östlich von Fort Huachuca, um nach Silber zu suchen. Als die Soldaten im Fort von seinem Vorhaben hörten, lachten sie ihn aus und meinten, alles, was er in den Hügeln dort finden würde, wäre sein eigener Grabstein.

Doch im August 1877 entdeckte Schieffelin tatsächlich die ersten von zahlreichen Silberminen, und nannte die erste nicht ohne Ironie "The Tombstone". In der Zeit danach wurden mehr als 37 Millionen Dollar aus den Minen erbeutet. Die Minen waren nicht der einzige Umsatzbringer des Städtchens: Einen ähnlich hohen Profit erzielten die zahlreichen Prostituierten, was die offiziellen Reiseführer allerdings verschweigen.

Wyatt Earps Pokerrunde im Keller

Die Bekannteste der Damen war wohl "Big Nose Kate", nach der noch heute ein Saloon benannt ist. Drinnen hat sich in den vergangenen einhundert Jahren nicht viel verändert: Auf einer kleinen Bühne sitzt ein Western-Gitarren-Spieler, an der Theke hängen die Dorfbewohner, die mit ihren Stetsons, Cowboystiefeln und ranzigen Jeansjacken wie die Komparsen eines Low-Budget-Westerns aussehen. Und das supertief ausgeschnittene Dekolleté der Bedienung vermittelt eine Ahnung davon, dass die harten Jungs von einst nicht nur kamen, um Steaks und Whiskey zu konsumieren. Diese Zeiten sind unwiderruflich vorbei. Tombstone ist ein Ausflugsort für Familien geworden, denen täglich um die Mittagszeit im "Helldorado Amphitheater" eine "Reenactment Show" geboten wird, bei denen die Tombstone-Cowboys wilde Schießereien und eine Hängung vorführen.

An einem Tisch im "Big Nose" sitzt Larry Jensen, der das Tombstone Western Film Festival, das im Rose Tree Theatre über die Bühne ging, organisierte. Er kennt die Geschichte des Ortes wie kein zweiter. "Gehen Sie mal durch die Bodenklappe in den Keller", rät er. "Dort können Sie den Tisch besichtigen, an dem Wyatt Earp und seine Kumpanen den Rekord im wochenlangen Pokerspielen aufstellten".

Übrigens gelangte Arizona nicht nur als Western-Filmkulisse zur Berühmtheit. Die Wüste um Yuma musste oft als Ersatz für Nordafrika oder Science-Fiction-Filme herhalten - nirgends sonst in den USA lässt sich der "Mexiko-Look" so gut hinbekommen wie hier.
Quelle: Spiegel online
http://www.spiegel.de/reise/fernweh/0,1518,556277,00.html
 
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