Der alte Mann und das Pferd
Ob dicklicher Werber, fader Fernsehkoch oder ergrauter Rapstar: Männer in der Midlife-Crisis haben den Ford Mustang als Therapie-Vehikel entdeckt. Das im deutschen Straßenbild früher seltene Muscle Car ist zum Langweiler verkommen - bei solch einer Klientel kein Wunder.
Der Typ neben mir an der Ampel ist groovy drauf. Verdammt groovy. Damit das auch ja alle mitkriegen, gibt er zu der Gitarrenmucke, die aus seinen Boxen röhrt, den entspannten Kopfnicker. Das sieht lustig aus, denn durch die Vibrationen gerät sein veritables Doppelkinn in Bewegung. Flaming Joe, so nenne ich ihn, ist Ende 30. Er hat ein paar Kilo zuviel. Und er fährt einen offenen Ford Mustang in mintfarbenem Metallic-Ton, mit Flammenstickern an der Seite.
Ich seufze. Er ist schon der vierte heute. Dass man an einem schönen Augusttag mehr Oldtimer als gewöhnlich sieht, ist normal. Aber wieso fahren eigentlich plötzlich alle diese alten Amis mit den Blubbermotoren? Es kann in Deutschland doch gar nicht so viele fahrtüchtige Mustangs aus den Sechzigern geben.
Bestimmt handelt es sich um Kopien aus China. Dort werden mutmaßlich auch die Fahrer geklont: Mitte 30, moppelig, und schwer bemüht, den Rebel on wheels raushängen zu lassen. Das Outfit der meisten Piloten lässt zudem vermuten, dass mit jedem Mustang ein Groovy-Guy-Kit geliefert wird - mit Elvis-Brille, anklebbaren Koteletten, und T-Shirt (wahlweise Flammenmuster oder Totenschädel, XXL).
Der Mustang ist eines jener Autos, die lange Zeit cool waren, weil ungewöhnlich und erschreckend atavistisch: Der größte Motor im Wagen hat fast mehr Hubraum als sechs VW Polos. Mustang-Fahrer halten bei längeren Fahrten stets Funkverbindung zu ihrem eigenen Tanklaster, ähnlich wie Düsenjägerpiloten der Bundeswehr. Wenn der Tank leer ist, also etwa alle 50 Kilometer, wird während der Fahrt aufgefüllt. Zumindest stelle ich mir das so vor.
Na vielen Dank, Herr Tarantino!
Seit Regisseur Quentin Tarantino das Pony Car cineastisch verewigt hat, ist auch beim Letzten angekommen, dass Mustang und Konsorten hip sind. Jetzt hat jeder so ein Wildpferdchen. Der Ford Mustang ist zum Golf der Muscle Cars geworden. Einerseits nervt das Auto deshalb, andererseits kann ich die Mustang-Posse auch verstehen.
Ich kenne euren Schmerz! Ihr seid Mitte 30, eure Bauchmuskeln lassen nach, und die vielen Geschäftsessen tun ihr übriges. Auf der einen Seite seid ihr glücklich, dass ihr trotz eures Soziologiestudiums einen auskömmlichen Job gefunden habt. Aber auf der anderen Seite beschleicht euch seit Jahren dieses nagende Gefühl, dass ihr früher fetziger drauf wart, dass euer Leben an euch vorbeirauscht.
Ihr wollt wieder Gitarren, Partys, den Wind im Haar und vielleicht mal wieder einen Joint. Ich will nicht sagen, dass ihr Spießer seid. Aber ihr bewegt euch mit eingeschaltetem Tempomat in diese Richtung.
Deshalb habt ihr euch für die Mustang-Therapie entschieden. Denn Mustang heißt, endlich wieder unvernünftig zu sein. Mustang heißt, eine Karre zu fahren, die viele Mädels gut finden. Und Mustang heißt vor allem, ein Rebell zu sein - mit röhrendem V8-Motor in Richtung Horizont und so weiter.
Das zumindest habt ihr gedacht, als ihr das Pferdchen gekauft habt.
Inzwischen ist es aber so, dass die Zahl der Art-Direktoren, Ressortleiter und Senior-PR-Manager mit altem Mustang beängstigende Züge angenommen hat. Selbst wenn es regnet, ist der Wagen omnipräsent - denn viele Promis haben inzwischen auch einen Mustang und posieren ständig in irgendwelchen Zeitschriften neben ihrem groovigen Auto. Tim "Tütensuppe" Mälzer fährt einen, Superkicker Malik Fathi und Rapper Smudo ebenso. Letzterer rast mit Ethanol im Tank des aktuellen Modells, was noch einigermaßen originell ist.
Die nächste Sinneskrise kommt bestimmt
Flaming Joe rückt seine Sonnenbrille zurecht. Er sieht unzufrieden aus. Ich schaue in den Verkehr und sehe, warum: Weiter vorne blubbert noch ein Mustang im Leerlauf. Das ist ein bisschen, als wenn sich auf einer Cocktailparty zwei Frauen im gleichen Kostüm über den Weg laufen. Es wird grün, und Joe fährt los.
Dabei hätte ich ihm gerne noch etwas zugerufen: "Dude, sieh zu, dass du dein Pferdchen verkauft kriegst. Inserier' im Internet, bevor es alle anderen auch tun." Und spar das Geld, denke ich mir. Leg es gut an. Denn irgendwann bist du 55, und wenn dich dann erneut die Sinneskrise heimsucht, hilft vermutlich nur ein nagelneuer Porsche 911.