Ich habs gefunden
Ist ein langer Text - aber nicht uninteressant:
Dtsch Arztebl 1997; 94(49): A-3334 / B-2802 / C-2487
Bergau, Lutz
Flugmedizin: Luftqualität an Bord von Verkehrsflugzeugen
THEMEN DER ZEIT: Medizinreport
Moderne Verkehrsflugzeuge bewegen sich in Höhen, die für den Menschen absolut lebensfeindlich sind. Extrem niedrige Temperaturen, reduzierter Luftdruck, teilweise hohe Ozon-Konzentrationen und niedriger Feuchtigkeitsgehalt der Luft sind dabei die typischen Faktoren. Das Flugzeug ist also auf ein autarkes Druck- und Klimatisierungssystem angewiesen. Dieses außerordentlich komplexe System mit unterschiedlichen Zielvorgaben muß letztlich dazu in der Lage sein, eine Luftqualität bereitzustellen, in der auch eine große Anzahl von Passagieren über lange Strecken komfortabel reisen kann.
In den letzten Jahren sind in den Medien zahlreiche Artikel erschienen, die sich in kritischer Weise mit der Luftqualität an Bord von Flugzeugen auseinandergesetzt haben. Beschwerden von Passagieren über Schwindel, Übelkeit, Kopfschmerzen, Irritationen von Schleimhäuten, Atemprobleme bis hin zu Kollapszuständen sind dabei berichtet worden. Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion war die Frage, inwieweit Infektionserkrankungen, wie zum Beispiel die Tuberkulose, in einem Flugzeug von Passagier zu Passagier übertragen werden können.
Die für den Aufbau und Erhalt einer Druckkabine und für die Klimatisierung notwendige Luft wird direkt aus den Verdichterstufen der Triebwerke entnommen. Diese hochkomprimierte, mit zirka 250 Grad außerordentlich heiße Luft wird dann über entsprechende Leitungssysteme in die sogenannten "packs" des Flugzeuges geleitet. Hier wird die Luft abgekühlt, druckgemindert und über Verteilersysteme in die Kabine eingeleitet. Die im allgemeinen über die Kabinendecke seitlich durch Lüftungsschlitze einströmende Luft wird unterhalb der Fenstersitze wieder abgesaugt, so daß eine gleichmäßige Zirkulation von oben nach unten innerhalb der Kabine erfolgt.
Gleichzeitig besteht auch eine Strömung der Luft in der Längsrichtung der Kabine von vorne nach hinten. Die abgesaugte Luft wird entweder über spezielle Ventile an die äußere Umgebung abgegeben, ein Teil der Luft wird jedoch durch Filter wieder zu den zentralen Klimaaufbereitungsanlagen (packs) zurückgeleitet und erneut in den Luftkreislauf einbezogen (recirculation air).
Aus technischen Gründen wird der Luftdruck in der Kabine wärend des Fluges mit zunehmender Höhe leicht abgesenkt, man erlebt also auch als Passagier einen Höhenaufstieg, der jedoch auf 8 000 Fuß (etwa 2 400 Meter) nach oben hin begrenzt ist. Die Reduzierung des Gesamtluftdrucks bedingt entsprechend den Gasgesetzen eine Verminderung des Druckes der einzelnen Komponenten in der Luft. Zwangsläufig kommt es zu einem Absinken des Sauerstoffpartialdruckes, welches eine Reduzierung der Sauerstoffsättigung des arteriellen Blutes bedingt.
Wie aus der Sauerstoffbindungskurve zu entnehmen ist, beträgt die Sauerstoffsättigung eines gesunden Menschen unter atmosphärischen Druckbedingungen in Seehöhe zirka 97 Prozent, während in einer Kabinendruckhöhe von etwa 2 250 Metern ein Abfall dieser Sauerstoffsättigung auf etwa 92 Prozent erfolgt. Dieses ist für durchschnittlich gesunde Passagiere ohne Schwierigkeiten zu kompensieren. Bei Flugreisenden jedoch, die sich aufgrund einer kardialen oder pulmonalen Erkrankung bereits im Grenzbereich der Sauerstoffversorgung befinden (Koronarsklerose, ausgeprägte Lungenventilationsstörungen), reicht die Erniedrigung des Sauerstoffpartialdruckes durchaus aus, um die normalen Kompensationsmechanismen, wie vermehrte und beschleunigte Atmung und Steigerung des Herzminutenvolumens, zu überfordern und klinische Dekompensationserscheinungen auszulösen. Eine sorgfältige Abwägung des individuellen Gesundheitszustandes des Flugreisenden ist bei diesen Erkrankungen daher absolut unumgänglich!
Aus der die Erde umgebenden Ozon-Schicht, deren Maximum zwischen 15 und 35 km liegt, kommt es neben der ohnehin steigenden Ozon-Konzentration mit größerer Flughöhe zu gleichsam handschuhförmigen Ausstülpungen auch in tiefere Luftschichten hinein. Speziell im Frühling und Herbst können deswegen auch in niedrigeren Flughöhen Ozon-Konzentrationen auftreten, die deutlich über dem MAK-Wert (maximale Arbeitsplatzkonzentration) als auch über dem erlaubten Wert einer Kurzzeitexposition liegen. Dabei ist es interessant, daß der anfänglich typische Geruch des Ozons (etwa wie verbranntes Kabelmaterial) bei steigender Konzentration durch die Erschöpfung der Riechzellen verschwindet, also höhere Konzentrationen nicht mehr wahrgenommen werden können.
Es kommt dann allerdings zu Reizerscheinungen der oberen Luftwege, Husten, Atemnot, Beklemmungsgefühlen, Augenreizungen und so weiter. Die modernen Verkehrsflugzeuge sind mit OzonKatalysatoren (ozone converter) ausgerüstet, die in der Lage sind, über 90 Prozent des in das Flugzeug einströmenden Ozons abzubauen.
Unterschiedliche Grenzwerte
Die Konzentration von Kohlendioxid (CO2) in einer Flugzeugkabine ist natürlich abhängig von der Zahl der Passagiere, die im Rahmen ihres normalen Lungenstoffwechsels CO2 ausatmen. Je größer die zugeführte Frischluftmenge, die pro Passagier und Zeiteinheit bereitgestellt werden kann, desto geringer ist die in der Kabine auftretende Konzentration dieses Gases. Es ist interessant, wie unterschiedlich die vorgeschriebene oder empfohlene Obergrenze für das CO2 festgelegt worden ist. Während die amerikanische Luftfahrtbundesbehörde (FAA) bis zu 30 000 ppm als höchsten zulässigen Wert angibt, empfiehlt die amerikanische Gesellschaft für Heizung, Kühlung und Klimatisierung (ASHRAE) eine Obergrenze von 1 000 ppm. Es ist sicher, daß gesundheitlich relevante Schäden erst bei CO2-Konzentrationen, wie sie die FAA als Obergrenze festgesetzt hat, eintreten.
Abfall der Luftfeuchtigkeit
Es entspricht jedoch der Erfahrung der kritischen Flugmediziner, daß schon bei Überschreiten von 1 500 ppm subjektiv als unangenehm wahrgenommene Befindlichkeitsstörungen auftreten können. Menschliche Ausdünstungen und Gerüche spielen dabei eine verstärkende Rolle. Die schon bei gering erhöhten Kohlendioxid-Konzentrationen angeregte Atemtiefe und Atemfrequenz kann bei empfindlichen Personen durchaus in ein sich langsam und unbemerkt entwickelndes Hyperventilationssyndrom einmünden, welches zu einem kurzfristigen Kreislaufkollaps führen kann. Zusammenfassend scheint es geboten, die Konzentration des Kohlendioxids auf einen möglichst geringen Wert, keinesfalls jedoch über 1 500 ppm, festzusetzen.
Je geringer die Temperatur ist, desto weniger vermag die Luft Feuchte aufzunehmen. So beträgt die Standardtemperatur in einer Höhe von zehn Kilometern minus 52 Grad, und der relative Feuchteanteil liegt bei nur wenigen Prozent. Da diese Außenluft über die Klimatisierungssysteme der Kabine zugeführt wird, kommt es zu einem raschen Abfall der Luftfeuchte in der Kabine.
Der Passagier, der diese extrem trockene Luft einatmet und dampfgesättigt wieder ausatmet, trägt entscheidend zur Erhöhung der Luftfeuchte in der Kabine bei. Je mehr Menschen pro Raumeinheit reisen, desto höher ist naturgemäß auch die in diesem Bereich zu messende Luftfeuchte.
Die Longitudinalbewegung der Kabinenluft von vorn nach hinten führt ebenfalls zu einer leichten Zunahme der Luftfeuchte von vorn nach hinten. In der ersten Klasse mit großen Sitzabständen geht die Luftfeuchte bis auf 4,3 Prozent herunter, in der deutlich dichter bestuhlten Economy-Class beträgt sie dagegen bis zu 14,6 Prozent. Diese extrem trockene Luft kann bei Langstreckenflügen zu unangenehmen Austrocknungserscheinungen der Schleimhäute des oberen Respirationstraktes und Reizerscheinungen der Konjunktiven, insbesondere bei Kontaktlinsenträgern, führen.
Eine Anfeuchtung der Luft im Rahmen des Klimatisierungssystems ist aus einer Reihe von Gründen technisch nicht zu bewältigen. Hierbei spielen nicht nur das Gewicht des mitzuführenden Wassers eine große Rolle, sondern auch die zu erwartende höhere Korrosion der Flugzeugzelle und nicht zuletzt das Eindringen von abgetautem Kondensationswasser in empfindliche Elektroniksysteme nach der Landung. Für den Passagier bedeutet die Reduzierung der relativen Luftfeuchte einen erhöhten Flüssigkeitsbedarf, der mit etwa dem Doppelten der normalen Trinkmenge anzusetzen ist.
Eine Umfrage unter den Passagieren hat ergeben, daß 82 Prozent aller Passagiere und sogar 92 Prozent der Nichtraucher sich durch den Tabakrauch negativ beeinflußt fühlen. Diese Tatsache und der inzwischen klare Beweis der krebserzeugenden Wirkung auch beim Passivrauchen haben dazu geführt, daß das Rauchen durch entsprechende Gesetzgebungen der Regierungen inzwischen erheblich eingeschränkt oder ganz verboten worden ist.
Anstieg der Nikotin- Konzentration
Der nichtrauchende Passagier atmet unfreiwillig Tabakrauch nicht nur ein, wenn er in der Raucherzone sitzt, sondern auch dann, wenn er sich drei Reihen vor oder drei Reihen hinter einer Raucherzone befindet. Durch die modernen Klimatisierungssysteme in den Flugzeugen mit einem hohen Rezirkulationsanteil kommt es in der gesamten Kabine zu einem allmählichen Anstieg der Nikotinkonzentration im Blut auch bei Passagieren in der Nichtrauchersektion. Aus medizinischer Sicht ergibt sich zwangsläufig die Forderung, das Rauchen generell während des Fliegens zu verbieten.
Über die notwendige Frischluftzufuhr pro Passagier und Zeiteinheit bestehen unterschiedliche Vorstellungen. Die deutschen DIN-Vorschriften schwanken in ihren Empfehlungen zwischen zwölf und 23 Kubikfuß pro Minute. Tatsächlich wird bei einer hochdichten Bestuhlung in einer Boeing 747 (Jumbo), wie sie beispielsweise im innerjapanischen Dienst mit bis zu 520 Passagieren eingesetzt wird, lediglich eine Größenordnung von etwa 6,5 Kubikfuß erreicht. Von besonderer Bedeutung ist die Frage, wieviel von der Luft, die die Flugzeugkabine durchströmt, wieder über Filter dem Luftkreislauf zugeführt wird ("Rezirkulationsluft").
Während die Flugzeuge älterer Generation (Boeing 707, Boeing 727) über kein derartiges Luftrückführungssystem verfügten, also 100 Prozent Frischluftzufuhr von außen in die Kabine gewährleisteten, haben die modernen Flugzeugkabinen einen Rezirkulationsluftanteil, der bis über 50 Prozent betragen kann. Der zweifellos bestehende Vorteil dieser Rezirkulationsluft ist, daß dadurch insgesamt die Luftfeuchte im Interesse eines besseren Passagierkomforts erhöht werden kann, ebenso werden die Ozon-Konzentrationen vermindert.
Auf der anderen Seite muß ein erhöhter Kohlendioxid-Spiegel in Kauf genommen werden, außerdem verteilt sich der Zigarettenrauch innerhalb kürzester Zeit in alle Abschnitte einer Kabine. Zweifellos spielen auch wirtschaftliche Erwägungen eine Rolle. Da die Leistung eines Triebwerkes um so mehr vermindert wird, je mehr Zapfluft aus den Verdichterstufen des Triebwerkes entnommen wird, desto höher ist auch der Treibstoffverbrauch. Ein optimales Verhältnis zwischen Frisch- und Rezirkulationsluft ist aus den genannten Faktoren nach wie vor in der Diskussion. Der Vorstellung der Flugzeughersteller, durch verbesserte Leistungsfähigkeit der Filter innerhalb der Rezirkulationsluft gänzlich auf von außen zugeführte Frischluft zu verzichten, kann aus flugmedizinischer Sicht nur mit großer Skepsis entgegengesehen werden.
Die Strömungsgeschwindigkeit der Luft innerhalb der Kabine ist nicht nur eine Funktion der Luftaustauschrate pro Zeiteinheit, sondern hängt entscheidend auch von der Größe der Austrittsöffnungen beziehungsweise der Absaugvorrichtung für gebrauchte Luft ab.
Luftströmung
Die in früheren Flugzeuggenerationen übliche individuelle Verstellmöglichkeit von zusätzlichen Frischluftdüsen oberhalb der Sitze fällt in den modernen Flugzeugen zunehmend weg, eine individuelle regelbare Luftzufuhr, die als eindeutiger Vorteil dieser Systeme angesehen werden konnte, ist damit nicht mehr möglich. Die Luftströmungsgeschwindigkeiten der nicht mehr regelbaren Klimasysteme werden zum Teil als zu hoch, bei anderen als eindeutig zu niedrig angesehen. In dem Bemühen, den Kabinengeräuschpegel so gering wie möglich zu halten, hat man großflächige Luftzuführungssysteme verwirklicht, die eine sehr niedrige Strömungsgeschwindigkeit mit sich bringen. Im Einzelfall reicht die geringe Luftströmungsgeschwindigkeit offenbar nicht aus, um die verbrauchte Luft durch Frischluft gänzlich auszutauschen ("hanging smoke").
In diesen Flugzeugen kann es durchaus zu subjektiven Befindlichkeitsstörungen deswegen kommen, weil eine konstante Luftströmung notwendig ist, um die Thermoregulation des Körpers sicherzustellen. Der Abtransport von Wärme über die feuchte Haut, vorzugsweise des Gesichtes, ist dabei besonders wichtig.
Insgesamt ist festzustellen, daß die Strömungsgeschwindigkeit der Frischluft in einem Flugzeug höher angesetzt werden muß, als dies bei normalen Büroarbeitsplätzen wünschenswert ist. Eine hohe Anzahl von Passagieren auf engem Raum, relativ hohe Kabinentemperaturen und nicht zuletzt ein erhöhter Stoffwechselumsatz mit entsprechender Wärmeproduktion durch den besonderen psychischen Effekt des Fliegens sind nur einige der Faktoren, die eine Abweichung nach oben von den entsprechenden Normen erfordern.
Von besonderer Bedeutung ist die Frage, inwieweit eine Ansteckungsgefahr von Passagieren durch in der Kabinenluft befindliche Bakterien, Viren oder Pilzsporen besteht. Gerade bei den hohen Rezirkulationsraten wird immer wieder die Befürchtung geäußert, daß von einem infizierten Passagier für alle anderen mitreisenden Passagiere eine Infektionsgefährdung ausgehen kann. In Kenntnis der technischen Ausrüstungen des Flugzeuges muß diese Gefährdung jedoch weitgehend verneint werden.
Gerade die Rezirkulationsluft wird ständig durch hochwirksame Filter geleitet, deren Porengröße kleiner als ein Mikrometer ist. Durch Haftenbleiben von noch kleineren Partikeln und durch die Braunsche Molekularbewegung geringster Teilchengrößen, wie zum Beispiel Viren, haben diese HEPA-Filter (high efficiency particular air filters) die Fähigkeit, zwischen 91 bis 99,9 Prozent aller mikrobiellen Bestandteile der Kabinenluft herauszufiltern. Diese Filter werden in regelmäßigen Abständen gewechselt.
Es ist zusätzlich zu berücksichtigen, daß die extrem geringe Luftfeuchtigkeit an Bord von Verkehrsflugzeugen die Überlebensfähigkeit von Infektionserregern deutlich reduziert. Zusammenfassend ist die Infektionsgefährdung während einer Flugreise als erheblich geringer einzuschätzen als beispielsweise in öffentlichen Verkehrsmitteln wie Busse oder Bahnen.
Anschrift des Verfassers
Dr. med. Lutz Bergau
Leitender Arzt Deutsche Lufthansa AG
60546 Frankfurt