Fahnder - Massiver Eingriff
Von Steffen Winter
Das bayerische Landeskriminalamt setzte bei Ermittlungen ein rechtswidriges Spionageprogramm ein. Der Fall wird die Debatte über staatliche Cyber-Angriffe neu befeuern.
Der Geschäftsmann wollte nur nach Hause. Acht Stunden hatte der Flug aus Indien gedauert, doch nun verzögerten die Zollbeamten am Münchner Airport seine Heimkehr. Eine Routinekontrolle, angeblich. Personalien, Gepäck, Laptop.
Es dauerte, doch das Gewissen des Reisenden war rein; es gab nichts zu verzollen. Nur mit seinem Computer verschwanden die Kontrolleure im Nebenraum. Kurz danach Entwarnung: alles in Ordnung. Gute Heimfahrt.
Der kleine Zwischenstopp auf dem Flughafen "Franz Josef Strauß" Mitte 2009 hat das Zeug dazu, in Berlin erneut eine Debatte über die Befugnisse von Ermittlungsbehörden zu entfachen. Es geht im digitalen Zeitalter um eine Frage, die die schwarz-gelbe Koalition im Bund spaltet: Wann und wie tief darf der Staat zur Verbrechensbekämpfung in die Computer seiner Bürger eindringen?
Denn der Kaufmann aus Bayern trug nach jener Kontrolle ein wenig mehr im Gepäck als vorher. Auf seinem Rechner hatte das bayerische Landeskriminalamt (LKA) eine Spionage-Software versteckt. Das heimlich am Flughafen installierte Programm sicherte der Polizei weitreichenden Zugriff auf den Laptop. Sobald sich das Gerät ins Internet einwählte, übermittelte es alle 30 Sekunden ein Foto des Bildschirms zu den Ermittlern - gut 60.000 in drei Monaten.
Der Fall widerlegt die gebetsmühlenartigen Beteuerungen, mit denen die Große Koalition die Infiltration von privaten Rechnern, landläufig
"Online-Durchsuchung" genannt, gegen den Widerstand von Opposition, Datenschützern und Verfassungsrichtern durchgesetzt hatte. Computer würden nur in "eng begrenzten Ausnahmefällen" infiltriert werden, versprach der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Es gehe nicht "um die kleinen User", assistierte der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, sondern nur um "Fälle schwerster Kriminalität und bei Terrorismus". Seit 2009 erlaubt das BKA-Gesetz den "verdeckten Eingriff" in Computer, wenn "Leib, Leben oder Freiheit" einer Person oder der Bestand des Staates in Gefahr sind. Die Bundesregierung folgte damit einer Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, Bayern übernahm die Formulierungen im Kern.
Doch der betroffene kaufmännische Angestellte steht weder unter Terrorverdacht, noch wird er eines Kapitalverbrechens beschuldigt. Gegen den Landshuter läuft seit 2008 ein Ermittlungsverfahren wegen "banden- und gewerbsmäßigen Handelns und Ausfuhr von Betäubungsmitteln". Er ist in einer Firma angestellt, die Psychopharmaka vertreibt. In Deutschland legal, im Ausland möglicherweise nicht - das ist strittig. Die Polizei nutzte die Spionage-Software jedenfalls nicht zur Gefahrenabwehr, sondern um eine mutmaßliche Straftat aufzuklären.
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